Muttertag – Eine stoische Betrachtung über Dankbarkeit, Rollen und innere Haltung
- Rosalia Morris
- 9. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Zwischen Blumen und Erwartungen

Muttertag steht vor der Tür – ein Tag, der offiziell der Dankbarkeit gilt. Floristen verzeichnen Hochumsätze, soziale Medien füllen sich mit Liebesbekundungen, und viele fühlen sich verpflichtet, zumindest etwas zu sagen oder zu tun. Doch so wichtig dieser Anlass ist: Die Beziehung zur Mutter ist selten einfach. Sie ist oft vielschichtig, emotional aufgeladen, und nicht jede*r kann oder möchte an diesem Tag einfach „Danke“ sagen, ohne zu zucken.
Gerade deshalb lohnt sich eine ehrlichere, bewusstere Auseinandersetzung – jenseits von Ritual und Pflichtgefühl. Und der Stoizismus kann uns dabei helfen, Muttertag als Einladung zu sehen: nicht nur zur Geste nach außen, sondern zur Klarheit im Inneren.
Der stoische Blick: Wofür bist du verantwortlich – und wofür nicht?

Epiktet lehrte, dass das Einzige, was wirklich in unserer Macht liegt, unsere Haltung ist. Nicht die Vergangenheit, nicht das Verhalten anderer, nicht die Umstände – sondern die Entscheidung, wie wir auf all das blicken.
Auf die Mutter-Kind-Beziehung übertragen bedeutet das: Du musst deine Geschichte nicht beschönigen. Du musst keine falsche Dankbarkeit heucheln. Aber du kannst entscheiden, ob du dich von Groll oder von Klarheit leiten lässt. Ob du festhältst – oder loslässt. Ob du den Tag ignorierst oder nutzt.
Nicht jeder hat eine gute Mutter. Aber jede*r hat die Möglichkeit, eine gesunde Haltung zu dieser Beziehung zu entwickeln – oder sie zumindest zu hinterfragen. Das ist kein einfacher Prozess. Doch er beginnt mit dem Mut, ehrlich auf das zu schauen, was war – und bewusst zu entscheiden, was du daraus machst.
Dankbarkeit – nicht für alles, aber für das Wesentliche

Dankbarkeit bedeutet nicht, alles gutzuheißen. Sie bedeutet auch nicht, Schuldgefühle zu bedienen. Echte Dankbarkeit ist differenziert. Sie erkennt an, was war – und was nicht.
Vielleicht war deine Mutter nicht perfekt. Vielleicht war sie überfordert, hart, abwesend oder zu nah. Und vielleicht gab es trotzdem Momente, in denen du gesehen, gehalten oder beschützt wurdest. Oder du erkennst an, dass du durch das, was gefehlt hat, bestimmte Stärken entwickelt hast. Resilienz. Klarheit. Selbstständigkeit. Auch das kann eine Form von Dankbarkeit sein – nicht an eine Person, sondern an den Weg, den du gegangen bist.
Die stoische Dankbarkeit richtet sich nicht nur auf das Angenehme, sondern auf das Lehrreiche. Sie fragt: Was konnte ich daraus lernen? Wie bin ich dadurch gewachsen? Und sie lässt Raum – für Ambivalenz, für Widerspruch, für Ehrlichkeit.
Rollenbewusstsein: Muttersein – zwischen Ideal und Realität

Der Muttertag glorifiziert oft eine Rolle, ohne sie wirklich zu würdigen. „Die Mutter“ als Idealbild: aufopfernd, liebevoll, immer da. Doch reale Mütter sind Menschen. Mit Grenzen, Zweifeln, Schmerzpunkten. Auch das lehrt der Stoizismus: dass wir Menschen nicht für das lieben, was sie sein sollten, sondern dafür achten, wie sie ihre Rolle – so gut sie es können – leben.
Gleichzeitig darf Muttersein auch kritisch betrachtet werden: Welche Rolle spielen Mütter in der Gesellschaft? Wie viel tragen sie – sichtbar oder unsichtbar? Welche Erwartungen liegen auf ihren Schultern? Der Muttertag kann eine Gelegenheit sein, nicht nur Dankbarkeit zu zeigen, sondern auch Respekt – für das, was Mütter (bewusst oder unbewusst) leisten. Und für das, was sie vielleicht nicht leisten konnten.
Muttertag als Einladung zur inneren Aufrichtigkeit

Du musst diesen Tag nicht feiern wie alle anderen. Aber du kannst ihn nutzen. Für einen Brief, der nie abgeschickt wird. Für ein Gespräch – oder für einen Schlussstrich. Für Dankbarkeit – oder für Klarheit. Für einen Strauß Blumen – oder für einen Moment des stillen Verzeihens.
Was du daraus machst, liegt bei dir. Nicht weil du sollst, sondern weil du kannst. Und manchmal liegt genau darin deine Freiheit: nicht auf das zu reagieren, was erwartet wird – sondern auf das, was für dich stimmig ist.
Muttertag kann ein Ritual sein. Oder eine Erinnerung daran, wie viel Haltung in Liebe steckt. Und wie viel Frieden in einem einzigen, ehrlichen Gedanken: Vielleicht kein großes Danke. Aber ein echtes. Für alles, was mich heute zu mir gemacht hat.
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